In der Gruppe

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„Mein Vater stammt aus der Türkei, aus einer ländlichen Familie. Er hat sich in Deutschland hochgearbeitet und besitzt jetzt ein Fuhrunternehmen. Deshalb wollte es, dass ich es besser habe als er“, erzählt Mehmet in der Therapiegruppe. „Aber ich habe dem Druck nicht standgehalten. Deshalb habe ich nach einem Fluchtweg gesucht, um den Beschimpfungen meines Vaters zu entgehen.“

Doktor Jennrich, der betreuende Facharzt, und Ellen Meißner, die Psychologin des Therapeutischen Hofes Toppen­stedt, schauen in die Runde. „Welchen Druck haben sie erlebt?“, fragt Ellen Meißner.

„Bei mir war es das dauernde Gefühl, dass ich eigentlich nicht gewollt war“, beginnt Julia. „Da wollte ich nur noch weg – egal wohin, egal ob tot oder in einer anderen Welt.“ Stefanie ist unruhig. „Bei mir war es ein innerer Druck, so als ob ein Dampfkessel gleich explodieren würde. Der Druck musste ganz schnell hinaus, egal was dadurch passieren würde.“ „Und wie erleben sie es heute?“, fragt Doktor Jennrich. „Ich spüre diesen inneren Druck auch heute noch öfter. Aber ich lerne langsam, damit umzugehen, ohne mich künstlich ruhig zu stellen oder mit irgendwelchen Rauschmitteln zu betäuben.“

„Bei mir sind es die Bilder, die mich nicht losgelassen haben“, beginnt Daniel. „Sie haben mich verfolgt, und ich bin vor ihnen geflohen. Jetzt habe ich angefangen, mich ihnen zu stellen, und versuche, sie aus meinen Gedanken und Erinnerungen loszuwerden. Aber das ist so unendlich mühsam.“ Jan schweigt. „Ich weiß gar nicht, ob ich einen Druck verspürt habe. Bei mir war es der Wunsch nach Geborgenheit und etwas Schönem im Leben.“ Er denkt nach. „Wenn ich es jetzt betrachte, dann hat dieser Wunsch doch einen Druck auf mich ausgeübt. Und aus der ständigen Suche wurde eine Sucht.“

„Im Knast habe ich auch Druck von anderen erlebt“, fängt Mehmet erneut an. „Da wollte ich oft genug zuschlagen, weil ich den Druck loswerden wollte. Aber hier in der Gruppe kann ich es aushalten. Wir sitzen irgendwie alle im selben Boot: Wir waren irgendwie unter Druck, gingen auf die Flucht und suchen jetzt jeder einen neuen Anfang.“ „Dabei haben sie alle schon viel erreicht“, fasst Ellen Meißner zusammen. „Sie haben gelernt, über ihre eigene Situation zu reden, ohne Angst zu haben von den Reaktionen der anderen.“

Julia lacht. „Das hört sich zwar gut an, aber trotzdem sitze ich irgendwie noch immer in der Scheiße. Ich habe eine ‚tolle Karriere‘ hinter mir. Und was wird aus mir, wenn ich hier endlich rausgehe?“ „Dann musst du stark sein – und stark bleiben, wenn die alten Freunde kommen“, antwortet Jan. „Denn sonst könnte es dir so ergehen wie mir: ganz schnell bergab.“ „Deshalb brauchen wir die Zeit und die Ruhe hier in Toppenstedt“, greift Doktor Jennrich ein, „damit sie neue Verhaltensweisen für den Umgang mit sich selbst und für den Umgang mit anderen erlernen können. Wir können ihnen hier helfen und sie ein Stück begleiten. Im Alltag müssen sie dann ihren Weg alleine gehen.“

„Hauptsache, ich komme weg von der Straße und von der Wegelagerei rund um den Hauptbahnhof“, seufzt Jan. „Ich wünsche mir eine eigene kleine Wohnung, eine Arbeit und dann ein paar wirklich gute Freunde.“ „Und ich möchte meine Familie zurück“, Daniel blickt auf, „aber dazu werde ich wohl noch mehr brauchen, um einen neuen Anfang mit meiner Frau und meinen Kindern zu schaffen.“ Stefanie lächelt. „Ich will es schaffen. Und ich werde es schaffen. Ich spüre, wie mir hier neues Selbstvertrauen und neue Kräfte wachsen.“ Sie schaut zu Daniel: „Dann kannst du es auch schaffen. Das wünsche ich dir!“


Die beispielhaften Lebensgeschichten sind auf der Grundlage von anonymisierten Auszügen aus Fallprotokollen geschrieben werden. Alle Namen – sowohl die der PatientInnen als auch die der TherapeutInnen – wurden geändert. Die Fotos sind Symbolfotos, um die PatientInnen zu schützen.